Einleitung
Sucht ist eine Erkrankung, die nicht nur den Körper und die Seele betrifft, sondern auch die soziale Umwelt der Betroffenen maßgeblich beeinflusst. Neben den physischen und psychischen Herausforderungen trägt das Stigma, das mit Suchterkrankungen einhergeht, erheblich zur Verschlechterung der Lebensqualität bei. Dieses soziale Stigma erschwert den Zugang zu Hilfe, verstärkt Scham und Isolation und steht oft einer wirksamen Behandlung im Weg. Der folgende Essay beleuchtet, wie Sucht und Stigma miteinander verwoben sind, welche Auswirkungen dieses Zusammenspiel auf Betroffene hat und welche Maßnahmen gegen Stigmatisierung helfen können.
Sucht als gesellschaftlich stigmatisierte Erkrankung
Sucht wird in vielen Gesellschaften immer noch als moralisches Versagen, als Schwäche oder Charakterschwäche wahrgenommen – eine Haltung, die tief verwurzelte Vorurteile nährt. Dieses soziale Stigma manifestiert sich in negativen Zuschreibungen, Diskriminierung und Ausgrenzung. Laut Link und Phelan (2001) umfasst Stigma mehrere Komponenten: Etikettierung, Stereotypisierung, Trennung, Statusverlust und Diskriminierung. Menschen mit Suchterkrankungen werden oft als gefährlich, unzuverlässig oder verantwortungslos abgestempelt, was ihre Chancen auf soziale Teilhabe, berufliche Integration oder medizinische Versorgung stark mindert.
Auswirkungen des Stigmas auf Betroffene
Das Stigma hat weitreichende Folgen. Studien zeigen, dass Betroffene sich aufgrund von Scham und Angst vor Vorurteilen häufig nicht trauen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die soziale Isolation wird dadurch verstärkt, was den Teufelskreis der Abhängigkeit verstärkt. Zudem wirken sich negative Selbstbilder, die durch internalisiertes Stigma entstehen, direkt auf die psychische Gesundheit aus und können depressive Symptome oder ein vermindertes Selbstwertgefühl verstärken (Schomerus et al., 2011).
Stigma und Behandlung
Das Stigma wirkt sich nicht nur sozial aus, sondern auch auf die Behandlungssituation. Fachkräfte und Gesundheitssysteme sind nicht immun gegenüber stereotypen Vorstellungen, was zu suboptimaler Versorgung oder mangelnder Empathie führen kann (Livingston et al., 2012). Um die Behandlungserfolge zu verbessern, ist es daher essenziell, Stigma systematisch abzubauen – durch Schulungen, Aufklärung und Sensibilisierung aller gesellschaftlichen Gruppen.
Strategien zum Abbau von Stigma
Gegen Stigma helfen vor allem Aufklärung, Begegnung und narrative Veränderung. Öffentlichkeitsarbeit, in der Betroffene ihre Geschichten erzählen, trägt zur Entmystifizierung bei. Achtsamkeitsbasierte Programme und eine stärkere Betonung der Suchterkrankung als behandelbare medizinische Erkrankung sind zentrale Elemente. Kampagnen, die Mitgefühl und Verständnis fördern, zeigen positive Effekte auf Einstellungen in der Bevölkerung (Corrigan et al., 2017).
Fazit
Stigma ist eine unsichtbare, aber mächtige Barriere auf dem Weg aus der Sucht. Es verschärft Leid, isoliert Betroffene und behindert wirksame Therapie. Ein liebevoller und empathischer Umgang – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene – ist notwendig, um diese Barrieren abzubauen. Nur so kann die volle Integration und Heilung von Menschen mit Suchterkrankungen gelingen.
Verwendete Quellen
- Link, B. G., & Phelan, J. C. (2001). Conceptualizing Stigma. Annual Review of Sociology, 27, 363–385. https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.363
- Schomerus, G., Matschinger, H., & Angermeyer, M. C. (2011). The stigma of alcohol dependence compared with other mental disorders: a review of population studies. Alcohol and Alcoholism, 46(2), 105–112. https://doi.org/10.1093/alcalc/agq084
- Livingston, J. D., Milne, T., Fang, M. L., & Amari, E. (2012). The effectiveness of interventions for reducing stigma related to substance use disorders: a systematic review. Addiction, 107(1), 39–50. https://doi.org/10.1111/j.1360-0443.2011.03601.x
- Corrigan, P. W., Kosyluk, K. A., & Rusch, N. (2017). Reducing self-stigma by coming out proud. Journal of Mental Health, 26(3), 1–6. https://doi.org/10.1080/09638237.2017.1294140
- Wahl, O. F. (1999). Mental health consumers’ experience of stigma. Schizophrenia Bulletin, 25(3), 467–478. https://doi.org/10.1093/oxfordjournals.schbul.a033431