Geschlechterrollen, Arbeitsteilung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie
1. Einleitung
Die Elternschaft verändert sich in einer Zeit gesellschaftlichen Wandels grundlegend. Das traditionelle Modell der arbeitsteiligen Elternschaft – meist mit dem Vater als Hauptverdiener und der Mutter als primärer Bezugsperson – wird zunehmend hinterfragt. Das Konzept des Shared Parenting steht für eine gleichberechtigte Aufteilung von Betreuung, Erziehung und Erwerbsarbeit zwischen beiden Elternteilen. Dieser Essay untersucht, inwieweit Shared Parenting eine zukunftsfähige Antwort auf die Herausforderungen moderner Familienwelten darstellt und welche Hindernisse es dabei zu überwinden gilt.
2. Begriff und Konzept des Shared Parenting
Shared Parenting beschreibt eine partnerschaftliche, gleichberechtigte Aufteilung aller elterlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Dies umfasst nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch Haushalt, emotionale Unterstützung und finanzielle Beiträge (Skinner & Davidson, 2018). Anders als das klassische Ernährermodell basiert Shared Parenting auf der Prämisse, dass beide Elternteile aktiv und ausgewogen am Familienleben teilhaben.
Wichtig ist die Unterscheidung zum Begriff „Co-Parenting“, der auch getrennte Eltern betrifft, während Shared Parenting primär innerhalb intakter Partnerschaften diskutiert wird.
3. Historische Entwicklung der Elternrollen
Bis weit ins 20. Jahrhundert dominierten geschlechtsspezifische Rollenbilder: Der Mann als wirtschaftlich Versorgender, die Frau als fürsorgliche Mutter und Haushaltsführende (Hochschild, 2012). Die Frauenbewegung, wirtschaftliche Veränderungen und bildungspolitische Fortschritte haben diese Rollen sukzessive aufgebrochen.
In den letzten Jahrzehnten wächst das Interesse an Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung in der Elternschaft, doch die Realität hinkt oft hinterher. Shared Parenting bleibt in vielen Familien eine idealtypische Vision.
4. Geschlechterrollen und die Herausforderung der Arbeitsteilung
Trotz gesellschaftlicher Modernisierung sind traditionelle Rollenmuster noch tief verankert. Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil der Betreuungs- und Hausarbeit (Bianchi et al., 2012). Dies führt zu einer Doppelbelastung („Second Shift“) und erschwert die vollständige Umsetzung von Shared Parenting.
Die psychologische Dimension des Mental Load – das ständige Denken an familiäre Organisation – trifft überwiegend Frauen (Daminger, 2019). Männer fühlen sich oft weniger verantwortlich für Planung und emotionale Arbeit, was eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe erschwert.
5. Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Shared Parenting
Shared Parenting stellt neue Anforderungen an Arbeitsmarkt und Familienpolitik. Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle für Väter und Mütter sowie eine partnerschaftliche Aufteilung von Elternzeit sind zentrale Bausteine (Kluwer et al., 2015).
Obwohl Vätern eine größere Rolle im Haushalt erwünscht ist, existieren weiterhin strukturelle und kulturelle Barrieren: Teilzeitarbeit für Männer wird seltener angeboten oder gesellschaftlich weniger akzeptiert, während Frauen oft aus Karrieregründen auf mehr Arbeitszeit angewiesen sind.
6. Psychosoziale und ökonomische Auswirkungen
Studien zeigen, dass Shared Parenting zu höherer Zufriedenheit bei beiden Elternteilen führen kann. Väter erleben stärkere Bindung zu ihren Kindern, Mütter entlasten sich emotional und physisch (Pruett et al., 2017).
Ökonomisch führt eine ausgewogene Arbeitsteilung oft zu stabileren Familieneinkommen und verbessert die Chancen beider Eltern auf dem Arbeitsmarkt. Gleichwohl bleibt das Risiko, dass Frauen durch Teilzeit und Familienarbeit Einkommens- und Rentenverluste erleiden.
7. Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen
Politische Maßnahmen wie die Einführung von „Vätermonaten“ in der Elternzeit oder steuerliche Anreize für partnerschaftliche Aufteilung sind Schritte in Richtung Shared Parenting. Dennoch zeigen Studien, dass der Erfolg solcher Maßnahmen von der Akzeptanz in Unternehmen und der Gesellschaft abhängt (Gash & Mulder, 2018).
Ein Wandel der Geschlechterstereotype, der Ausbau von Betreuungsinfrastruktur und die Förderung von Arbeitgeberkulturen, die familienfreundliche Modelle unterstützen, sind für die Verbreitung unerlässlich.
8. Zukunftsperspektiven und offene Fragen
Shared Parenting hat das Potenzial, ein neues Normalbild der Elternschaft zu werden. Die Herausforderungen liegen vor allem im kulturellen Wandel und in der Schaffung unterstützender Rahmenbedingungen.
Zentrale offene Fragen betreffen die langfristige Vereinbarkeit von Karriere und Familie, die Anpassung sozialer Sicherungssysteme sowie die Berücksichtigung vielfältiger Familienformen.
9. Fazit
Shared Parenting ist mehr als ein Ideal: Es reflektiert die gesellschaftliche Forderung nach Gleichberechtigung und partnerschaftlicher Verantwortung. Seine Umsetzung setzt jedoch tiefgreifende Veränderungen in Rollenbildern, Arbeitsmarktstrukturen und Familienpolitik voraus. Für eine echte Gleichberechtigung in der Elternschaft müssen individuelle, gesellschaftliche und politische Ebenen zusammenspielen – nur so kann Shared Parenting das Modell der Zukunft werden.
Literaturverzeichnis
- Bianchi, S. M., Sayer, L. C., Milkie, M. A., & Robinson, J. P. (2012). Housework: Who Did, Does or Will Do It, and How Much Does It Matter? Social Forces, 91(1), 55-63.
- Daminger, A. (2019). The Cognitive Dimension of Household Labor. American Sociological Review, 84(4), 609-633.
- Gash, V., & Mulder, C. H. (2018). Father Involvement in Paid and Unpaid Work: A Cross-National Perspective. Journal of Family Issues, 39(1), 58-85.
- Hochschild, A. (2012). The Second Shift: Working Families and the Revolution at Home. Penguin Books.
- Kluwer, E. S., Heesink, J. A. M., & van de Vliert, E. (2015). Parenting Stress and Gender Role Attitudes: Are Mothers More Stressed by Equal Sharing of Childcare Than Fathers? Journal of Family Psychology, 29(1), 103–110.
- Pruett, M. K., Pruett, K. D., & Cowan, C. P. (2017). Shared Parenting and the Couple Relationship. Family Process, 56(2), 218-232.
- Skinner, J., & Davidson, J. (2018). Parenting Equality: Challenges and Opportunities. Journal of Family Issues, 39(7), 1692–1715.