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Freundschaft im Wandel der Zeit: Warum sich unsere engsten Beziehungen mit dem Lebensalter verändern

Freundschaft, SOZIALE BEZIEHUNGEN
13. Juni 2025
admin

Entwicklungspsychologische Erkenntnisse von der Kindheit bis ins hohe Alter

1. Einleitung: Freundschaft als Lebensbegleiter

Freundschaften begleiten den Menschen ein Leben lang – und doch verändern sich Form, Funktion und Bedeutung dieser Beziehungen mit dem Alter grundlegend. Die entwicklungspsychologische Forschung zeigt, dass Freundschaft nicht statisch ist, sondern eng mit den Lebensaufgaben und psychischen Bedürfnissen in verschiedenen Lebensphasen verknüpft ist (Fehr, 1996; Hartup & Stevens, 1997). Von der spielerischen Begegnung im Kindesalter bis zur selektiven Intimität im hohen Alter: Freundschaft ist sowohl ein soziales als auch ein psychologisches Phänomen im ständigen Wandel.


2. Kindheit und frühe Jugend: Erste soziale Bindungen und ihre Bedeutung

In der frühen Kindheit sind Freundschaften häufig durch räumliche Nähe, Ähnlichkeit und gemeinsame Aktivitäten geprägt. Sie erfüllen vor allem eine spielerische Funktion und helfen Kindern, soziale Kompetenzen zu erwerben – wie Teilen, Verhandeln oder Perspektivübernahme (Rubin et al., 2006).

Im Vorschulalter entstehen erste echte Freundschaftsbindungen. Laut Piaget (1932) und später auch Erikson (1963) dienen sie dazu, die kindliche Identität zu festigen und Vertrauen in soziale Beziehungen zu entwickeln. Die Forschung betont die Bedeutung stabiler, unterstützender Freundschaften in dieser Phase als Prädiktoren für psychosoziale Entwicklung (Bagwell et al., 1998).


3. Jugend und Adoleszenz: Freundschaft als Identitätslabor

Die Jugend ist die Blütezeit intensiver Freundschaften. Jugendliche definieren sich zunehmend über ihre Peer-Groups und enge Freundschaften bieten einen emotionalen Rückhalt in einer Phase großer Veränderungen. Nach Erikson (1963) ist diese Phase entscheidend für die Entwicklung von Identität versus Rollendiffusion.

Freundschaften werden nun von Intimität, Vertrauen und Selbstoffenbarung geprägt (Buhrmester, 1990). In der Pubertät rücken gleichgeschlechtliche Freundschaften stärker in den Fokus, später können diese durch romantische Beziehungen ergänzt oder ersetzt werden. Gleichwohl bleibt die Peer-Bindung ein zentraler sozialer Anker.


4. Frühes und mittleres Erwachsenenalter: Funktionale Nähe und emotionale Verbindlichkeit

Im frühen Erwachsenenalter verschieben sich Prioritäten: Ausbildung, Berufseinstieg und Partnerschaft konkurrieren mit dem Bedürfnis nach Freundschaftspflege. Dennoch bleiben enge Freundschaften bedeutsam, insbesondere zur sozialen Unterstützung, zum Austausch über Lebensentwürfe und als Korrektiv zur Lebensrealität (Rawlins, 1992).

Mit zunehmender Verantwortung für Beruf und Familie werden Freundschaften selektiver, oft funktionaler: Zeit wird knapper, Erwartungen an Qualität und emotionale Tiefe steigen. Studien zeigen, dass stabile Freundschaften in dieser Lebensphase mit höherer Lebenszufriedenheit und psychischer Gesundheit korrelieren (Walen & Lachman, 2000).


5. Freundschaften im höheren Alter: Qualität statt Quantität

Im Alter reduzieren sich häufig die Anzahl und Vielfalt der sozialen Kontakte. Dieser Rückgang wird allerdings nicht primär als Verlust erlebt – vielmehr findet eine qualitative Verdichtung statt. Die Sozioemotionale Selektivitätstheorie (Carstensen, 1992) erklärt dieses Phänomen mit einer veränderten Zeitperspektive: Ältere Menschen setzen stärker auf emotionale Nähe und Sinnhaftigkeit.

Freundschaften im Alter dienen als emotionale Stütze, fördern Resilienz und können Einsamkeit entgegenwirken (Antonucci et al., 2001). Zugleich steigt die Wahrscheinlichkeit von Verlusten – etwa durch Umzug oder Tod –, was die Pflege bestehender Freundschaften herausfordernder macht. Dennoch bleibt soziale Einbindung ein starker Prädiktor für gesundes Altern.


6. Psychologische Theorien im Kontext altersabhängiger Freundschaft

Verschiedene entwicklungspsychologische Modelle helfen, altersbedingte Veränderungen in Freundschaften besser zu verstehen:

  • Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung unterstreicht die Bedeutung von Freundschaft als Medium der Identitätsbildung, Intimität und Integrität.
  • Die Bindungstheorie (Bowlby, 1982) legt nahe, dass sichere Bindungserfahrungen in Kindheit und Jugend die Qualität späterer Freundschaften beeinflussen.
  • Die Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000) zeigt, dass Freundschaft ein zentraler Ort ist, an dem die Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit erfüllt werden können.

7. Fazit: Freundschaft als Spiegel der menschlichen Entwicklung

Freundschaft ist ein dynamischer Prozess, der die psychosoziale Entwicklung in jeder Lebensphase begleitet – und sie mitgestaltet. Von der Spielkameradin über die beste Freundin bis hin zum Vertrauten im Alter spiegeln Freundschaften unsere Entwicklung, Bedürfnisse und Lebensrealitäten. Gerade in einer individualisierten und digitalisierten Welt kommt der bewussten Pflege von Freundschaften eine neue Bedeutung zu – nicht nur als emotionale Ressource, sondern als Ausdruck unserer Menschlichkeit.


Literaturverzeichnis (Auswahl)

  • Antonucci, T. C., & Akiyama, H. (2001). Social relationships and aging well. In J. E. Birren & K. W. Schaie (Eds.), Handbook of the Psychology of Aging (5th ed.). Academic Press.
  • Bagwell, C. L., Newcomb, A. F., & Bukowski, W. M. (1998). Preadolescent friendship and peer rejection as predictors of adult adjustment. Child Development, 69(1), 140–153.
  • Bowlby, J. (1982). Attachment and loss: Vol. 1. Attachment (2nd ed.). Basic Books.
  • Buhrmester, D. (1990). Intimacy of friendship, interpersonal competence, and adjustment during preadolescence and adolescence. Child Development, 61(4), 1101–1111.
  • Carstensen, L. L. (1992). Social and emotional patterns in adulthood: Support for socioemotional selectivity theory. Psychology and Aging, 7(3), 331–338.
  • Erikson, E. H. (1963). Childhood and society (2nd ed.). Norton.
  • Fehr, B. (1996). Friendship processes. Sage Publications.
  • Hartup, W. W., & Stevens, N. (1997). Friendships and adaptation in the life course. Psychological Bulletin, 121(3), 355–370.
  • Rawlins, W. K. (1992). Friendship matters: Communication, dialectics, and the life course. Aldine de Gruyter.
  • Rubin, K. H., Bukowski, W. M., & Laursen, B. (Eds.). (2006). Handbook of peer interactions, relationships, and groups. Guilford Press.
  • Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55(1), 68–78.
  • Walen, H. R., & Lachman, M. E. (2000). Social support and strain from partner, family, and friends: Costs and benefits for men and women in adulthood. Journal of Social and Personal Relationships, 17(1), 5–30.
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