1. Einleitung

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gilt als eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart – für Alleinerziehende stellt sie jedoch eine besonders komplexe Aufgabe dar. Trotz des gestiegenen Erwerbsbeteiligungsgrades Alleinerziehender sind sie oft mit strukturellen Hindernissen konfrontiert, die die ökonomische Sicherheit und Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Dieser Essay analysiert die strukturellen Rahmenbedingungen, die Arbeitsmarktzugänge, Teilzeitfallen sowie flexible Arbeitszeitmodelle, und diskutiert kritisch, wie diese Faktoren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Alleinerziehende prägen.


2. Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden: Fakten und Trends

In Deutschland sind rund 90 % der Alleinerziehenden erwerbstätig (Statistisches Bundesamt, 2023). Die Mehrzahl arbeitet jedoch in Teilzeit, was auf die schwierige Balance zwischen Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung hinweist (Brenke, 2018). Trotz hoher Erwerbsquote sind Alleinerziehende im Durchschnitt stärker von Armut bedroht als Paarhaushalte (BMFSFJ, 2022). Diese Diskrepanz lässt auf strukturelle Herausforderungen schließen, die jenseits individueller Anstrengungen liegen.


3. Arbeitsmarktzugang und prekäre Beschäftigung

Der Zugang zu stabilen, gut bezahlten Arbeitsplätzen ist für Alleinerziehende oftmals erschwert. Viele sind in Branchen mit niedriger Bezahlung, geringer Arbeitsplatzsicherheit und begrenzten Aufstiegschancen tätig (Schömann et al., 2020). Fehlende oder unzureichende Kinderbetreuungsangebote wirken hier als Barrieren für eine Vollzeitbeschäftigung. Daraus resultiert eine hohe Prävalenz prekärer Arbeitsverhältnisse – befristete Verträge, Minijobs oder geringfügige Beschäftigungen –, die wenig Planungssicherheit und geringe soziale Absicherung bieten (Klenner & Leiber, 2015).


4. Die Teilzeitfalle: Chancen und Risiken

Teilzeitarbeit ermöglicht vielen Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vermeidet zeitliche Überforderungen. Allerdings wirkt Teilzeit häufig als „Falle“: Geringere Arbeitszeiten führen zu niedrigerem Einkommen, begrenzten Rentenansprüchen und verringerten Karrierechancen (Kreyenfeld & Geisler, 2018). Dies verstärkt langfristig die wirtschaftliche Unsicherheit und erschwert den sozialen Aufstieg.


5. Flexible Arbeitszeitmodelle: Zwischen Ermöglichung und Unsicherheit

Flexible Arbeitszeitmodelle, etwa Gleitzeit, Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Für Alleinerziehende bieten sie theoretisch die Möglichkeit, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Dennoch zeigen Studien, dass die Inanspruchnahme flexibler Arbeitszeiten häufig mit Unsicherheiten verbunden ist: Fehlende verlässliche Strukturen und die Gefahr von Mehrarbeit oder Jobverlust stellen Risiken dar (Hill et al., 2010). Zudem sind flexible Arbeitsmodelle oft in höher qualifizierten Berufen verfügbar, von denen Alleinerziehende mit niedrigem Bildungsniveau seltener profitieren (Bähr et al., 2019).


6. Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen

Politische Maßnahmen spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Ausbau und die Qualität von Ganztagsbetreuungsangeboten, finanzielle Unterstützung für Alleinerziehende sowie arbeitsrechtliche Regelungen für flexible Arbeitszeiten sind zentrale Hebel (BMFSFJ, 2023). Dennoch bestehen Lücken in der Umsetzung, die vor allem Alleinerziehende in prekären Lebenslagen benachteiligen. Eine inklusive Familienpolitik muss daher soziale Ungleichheiten adressieren und differenzierte Bedürfnisse berücksichtigen.


7. Fazit

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Alleinerziehende eine herausfordernde Gratwanderung, die durch strukturelle Rahmenbedingungen maßgeblich beeinflusst wird. Arbeitsmarktzugang, Teilzeitfalle und flexible Arbeitszeitmodelle sind zentrale Aspekte, die Chancen bieten, aber auch Risiken bergen. Nur durch eine umfassende politische Strategie, die soziale Ressourcen stärkt und institutionelle Barrieren abbaut, kann die Lebensrealität von Alleinerziehenden nachhaltig verbessert werden.


Literaturverzeichnis

  • Bähr, S., Blossfeld, H.-P., & Hofmeister, H. (2019). Arbeitszeitflexibilisierung und soziale Ungleichheit. Springer VS.
  • BMFSFJ (2022). Alleinerziehende in Deutschland: Lebenslagen und politische Maßnahmen. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
  • BMFSFJ (2023). Familienpolitik für Alleinerziehende: Herausforderungen und Perspektiven.
  • Brenke, K. (2018). Teilzeit und Armut – Wie sozial ist Teilzeitarbeit? Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
  • Hill, E. J., Ferris, M., & Märtinson, V. (2010). Does it matter where you work? A comparison of how three work venues (traditional office, virtual office, and home office) influence aspects of work and personal/family life. Journal of Vocational Behavior, 66(2), 243-263.
  • Klenner, C., & Leiber, S. (2015). Prekäre Beschäftigung und soziale Ungleichheit. Soziale Welt, 66(1), 21-39.
  • Kreyenfeld, M., & Geisler, E. (2018). Teilzeitfalle – Ein soziales Risiko für Frauen? Zeitschrift für Familienforschung, 30(1), 43-60.
  • Schömann, K., Franz, S., & Thiel, A. (2020). Arbeitsmarktsituation Alleinerziehender: Status quo und Herausforderungen. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
  • Statistisches Bundesamt (2023). Alleinerziehende – Erwerbsbeteiligung und Lebenslagen.