Einleitung: Wo Vielfalt auf Alltag trifft
Der Alltag ist das, was uns alle verbindet. Ob jung oder alt, mit oder ohne Einschränkungen, mit unterschiedlichen Sprachen, Hautfarben, Bedürfnissen – wir alle kaufen ein. Der Supermarkt, die Bäckerei um die Ecke oder der Wochenmarkt sind keine neutralen Orte. Sie sind soziale Räume – und zugleich wertvolle Gelegenheiten, echte Inklusion zu leben. Alltagsinklusion bedeutet, dass alle Menschen mit größtmöglicher Selbstbestimmung und Selbstverständlichkeit am Leben in ihrer Umgebung teilnehmen können. Gerade Einkaufsläden sind hierfür ein Spiegelbild unserer Gesellschaft – mit all ihren Potenzialen, aber auch ihren Barrieren.
Warum Einkaufsläden Schlüsselorte für Inklusion sind
Einkaufsläden sind niedrigschwellige, alltägliche Begegnungsorte. Im Gegensatz zu spezialisierten Einrichtungen wie Kliniken oder Ämtern können hier spontane, beiläufige Interaktionen stattfinden. Ein Mensch mit Mobilitätseinschränkung, eine Seniorin mit kognitiven Herausforderungen, ein junger Erwachsener im Autismus-Spektrum – alle haben das Recht, selbstbestimmt einzukaufen. Für viele ist der Gang zum Supermarkt nicht nur eine Versorgungshandlung, sondern ein soziales Erlebnis, ein Moment von Autonomie und Normalität.
Laut einer Erhebung der Aktion Mensch (2022) geben 73 % der befragten Menschen mit Behinderung an, dass der Einkauf für sie ein Ort der Selbstständigkeit sei – aber 41 % erleben regelmäßig Barrieren, etwa beim Zugang, bei der Orientierung oder in der Kommunikation mit Personal.
Barrieren sichtbar machen – und abbauen
Barrieren sind nicht immer sichtbar. Natürlich zählen fehlende Rampen, zu enge Gänge oder unleserliche Preisschilder zu den klassischen Hindernissen. Doch viele Barrieren sind kulturell oder emotional: Unsicherheit im Umgang mit Andersartigkeit, fehlende Geduld im Kassengespräch, stereotype Vorstellungen, wer „fähig“ sei, selbstbestimmt einzukaufen.
Auch sprachliche Barrieren – etwa bei Migrant:innen oder älteren Menschen mit kognitiven Einschränkungen – können den Einkauf zu einer stressvollen Erfahrung machen. In einer Studie von Gromann et al. (2021) zeigte sich, dass empathisch geschultes Verkaufspersonal einen messbaren Einfluss auf die Teilhabe-Qualität hatte – gemessen an Faktoren wie wahrgenommener Sicherheit, Selbstwert und Autonomie der Kund:innen.
Inklusion gestalten: Praktische Impulse für eine menschlichere Einkaufskultur
🛒 1. Schulung von Personal in Kommunikation & Empathie
Ein freundlicher Blick, ein geduldiges Warten, eine einfache Sprache – all das sind keine „Extras“, sondern Voraussetzungen für Inklusion. Fortbildungen zu diversitätssensibler Kommunikation und barrierefreier Interaktion sind ein wertvolles Investment.
📍 2. Barrierearme Gestaltung von Räumen
- Automatische Türen, breite Gänge, gute Beleuchtung
- Beschilderung in einfacher Sprache oder mit Piktogrammen
- Ruhezonen für Menschen mit sensorischer Empfindlichkeit
- Sitzgelegenheiten für ältere Menschen oder Menschen mit Fatigue-Syndromen
🧾 3. Digitale und analoge Unterstützungssysteme
- Einkaufslisten in leichter Sprache
- Inklusionsfreundliche Apps mit Navigation im Geschäft
- Persönliche Assistenz auf Wunsch – unbürokratisch und menschlich
💬 4. Kund:innen miteinbeziehen
Echte Teilhabe gelingt nur durch Partizipation. Feedbackboxen, Inklusionsbeiräte oder kurze Umfragen vor Ort können helfen, Bedarfe zu erkennen und Lösungen gemeinsam zu entwickeln.
Alltagsinklusion als Haltung – nicht nur als Maßnahme
Wirkliche Inklusion im Supermarkt beginnt im Denken: Wer gehört dazu? Wem wird zugetraut, selbstständig zu handeln? Wem wird Geduld und Respekt entgegengebracht – auch wenn es länger dauert oder anders aussieht als gewohnt? Inklusion ist keine einseitige Leistung, sondern ein gemeinsamer Prozess. Wenn Einkaufsläden zu Orten werden, an denen sich alle Menschen willkommen fühlen, entsteht nicht nur soziale Gerechtigkeit, sondern auch echte Menschlichkeit.
Fazit: Ein Ort der Versorgung – und der Verbundenheit
Der Supermarkt ist mehr als ein Ort des Konsums. Er ist ein Ort der Alltagskultur, des Miteinanders, der Begegnung. Inklusion im Einkaufsladen heißt: Nicht nur zugänglich sein – sondern zugewandt. Jeder kleine Moment – ein offenes Lächeln, ein verständlicher Hinweis, eine helfende Hand – macht den Unterschied. Wenn wir beginnen, den Alltag inklusiv zu gestalten, beginnt eine stille, aber kraftvolle Revolution. Eine, die verbindet statt trennt. Eine, die zeigt: Inklusion beginnt nicht bei Konzepten, sondern bei Beziehungen.
Quellen
- Aktion Mensch (2022). Teilhabe-Barometer 2022. www.aktion-mensch.de
- Gromann, P., Thiel, N., & Walther, A. (2021). Barrierefreiheit im Einzelhandel: Wahrnehmung von Teilhabe und Exklusion. Zeitschrift für Inklusion, 4(21), 55–71.
- WHO (2011). World Report on Disability. Genf: Weltgesundheitsorganisation.
- Ainscow, M., Booth, T., & Dyson, A. (2006). Improving Schools, Developing Inclusion. Routledge.