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Salutogenese nach Antonovsky: Die Kunst, gesund zu bleiben

GESUNDHEIT
23. Juni 2025
admin

1. Einleitung: Warum Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit

In einer Welt, die so oft um Krankheit kreist, hat der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky einen radikal anderen Blick auf die menschliche Gesundheit geworfen. Er stellte sich eine ebenso einfache wie tiefgründige Frage: Warum bleiben Menschen trotz widriger Umstände gesund?

Diese Frage führte ihn zu einem Denkmodell, das seither in Gesundheitswissenschaft, Psychologie und Pädagogik zunehmend Beachtung findet – der Salutogenese. Anders als in der Pathogenese (die fragt: „Warum werden Menschen krank?“) lenkt Salutogenese den Fokus auf Lebenskraft, Sinn und innere Ressourcen. In einer Zeit, die von Stress, Komplexität und Unsicherheit geprägt ist, könnte dieses Modell kaum aktueller sein.


2. Gesundheit als Weg, nicht als Zustand

Antonovsky war überzeugt: Gesundheit ist kein statisches Ziel, sondern ein kontinuierlicher Prozess – ein Weg zwischen zwei Polen, dem der Krankheit und dem der vollkommenen Gesundheit. Jeder Mensch befindet sich irgendwo auf diesem Kontinuum, mal näher an der Balance, mal weiter entfernt. Entscheidend ist nicht, wo man steht – sondern ob man sich bewegt, wächst, resilient bleibt.

Diese dynamische Sicht auf Gesundheit ist tief humanistisch: Sie wertet nicht, sie versteht. Sie lädt ein, eigene Kräfte zu entdecken, statt auf Defizite zu starren.


3. Der innere Kompass: Kohärenzgefühl (Sense of Coherence)

3.1 Drei Elemente, die stark machen

Im Zentrum des salutogenetischen Modells steht das Kohärenzgefühl (SOC) – eine innere Haltung gegenüber dem Leben, die sich aus drei Bausteinen zusammensetzt:

  • Verstehbarkeit: Ich kann die Welt um mich herum begreifen – sie erscheint mir geordnet und nicht chaotisch.
  • Handhabbarkeit: Ich bin überzeugt, dass ich über die Mittel verfüge, mit Herausforderungen umzugehen.
  • Sinnhaftigkeit: Ich sehe in dem, was mir begegnet, einen Sinn. Ich habe das Gefühl, dass es sich lohnt, morgens aufzustehen.

Menschen mit einem starken Kohärenzgefühl empfinden das Leben trotz aller Höhen und Tiefen als verstehbar, bewältigbar und sinnvoll – und entwickeln damit ein inneres Immunsystem gegen psychische Erschütterungen.

3.2 Was sagt die Forschung?

Studien zeigen: Menschen mit hohem SOC sind psychisch stabiler, leiden seltener an Burnout, Depression oder Angststörungen und zeigen mehr Lebenszufriedenheit. Eine Metaanalyse von Eriksson & Lindström (2006) belegt den Zusammenhang zwischen SOC und subjektivem Wohlbefinden, selbst unter schwierigen Lebensbedingungen.


4. Ressourcen, die tragen – auch in stürmischen Zeiten

Antonovsky nannte sie Widerstandsressourcen (GRRs) – das können stabile Beziehungen, Bildung, finanzielle Sicherheit, ein unterstützendes soziales Umfeld oder ein liebevoller Selbstwert sein. Diese Ressourcen helfen, Sinn zu stiften und Krisen zu bestehen.

Je mehr dieser Ressourcen ein Mensch im Leben erfahren und verinnerlicht hat, desto stärker wird sein Kohärenzgefühl – und desto resilienter geht er durch das Leben.


5. Praxisnah und kraftvoll: Wie wir Salutogenese im Alltag leben können

Verstehbarkeit fördern:

  • Feste Tagesstrukturen, Routinen, klare Kommunikation.
  • Offenheit für Wissen, Medienkompetenz und kritisches Denken.

Handhabbarkeit stärken:

  • Kleine Ziele setzen und feiern.
  • Soziale Netzwerke pflegen – Freundschaften sind Gesundheitsbooster.
  • Fähigkeiten trainieren, z. B. Problemlösung, Zeitmanagement.

Sinn erleben:

  • Fragen: Was erfüllt mich? Wofür stehe ich auf?
  • Ehrenamt, Kreativität, Naturerfahrungen.
  • Dankbarkeitstagebuch führen – wissenschaftlich belegt als stimmungsaufhellend (Emmons & McCullough, 2003).

6. Kritik & Weiterentwicklung

Antonovskys ursprüngliche Theorie galt lange als schwer messbar. Heute gibt es valide Fragebögen zur Erfassung des SOC. Kritisiert wurde auch, dass sein Modell psychosozial stark fokussiert ist – körperliche Aspekte wie chronische Erkrankungen sind nur indirekt integriert. Dennoch bleibt seine Grundidee kraftvoll: Gesundheit ist mehr als ein Symptom – sie ist eine gelebte Haltung zum Leben.


7. Fazit: Gesundheit als Lebenskunst

Die Salutogenese lehrt uns, Gesundheit nicht als Zustand zu definieren, sondern als eine Form des Seins: lebendig, reflektiert, widerstandsfähig, verbunden. Sie inspiriert dazu, Vertrauen in sich selbst, in das Leben und seine Sinnhaftigkeit zu entwickeln – und damit einen Raum für psychisches und körperliches Wohlbefinden zu schaffen, der weit über klassische Gesundheitsvorsorge hinausgeht.

Gerade in einer Welt voller Unsicherheit ist das vielleicht die wichtigste Medizin: Ein gesunder Geist, der weiß, wie man im Unfertigen lebt und im Wandel Sinn findet.


Literatur und Quellen

  • Antonovsky, A. (1997). Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag.
  • Eriksson, M., & Lindström, B. (2006). Antonovsky’s Sense of Coherence Scale and the relation with health: A systematic review. Journal of Epidemiology & Community Health, 60(5), 376–381.
  • Mittelmark, M. et al. (2017). The Handbook of Salutogenesis. Springer Open.
  • Emmons, R. A., & McCullough, M. E. (2003). Counting Blessings Versus Burdens: An Experimental Investigation of Gratitude and Subjective Well-Being. Journal of Personality and Social Psychology, 84(2), 377–389.
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): www.gesundheitsförderung.de
  • WHO (1986). Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung.
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