Die Sekundarstufe ist eine prägende Phase im Leben von Jugendlichen, in der schulische Anforderungen, persönliche Entwicklungsprozesse und soziale Herausforderungen aufeinandertreffen. In einem zunehmend leistungsorientierten Bildungssystem führt dies häufig zu psychosozialen Belastungen, die nicht selten in Stress, Ängsten und anderen psychischen Problemen münden (Bühlmann & Schroeder, 2021). Dieser Essay analysiert die Ursachen und Auswirkungen von Leistungsdruck auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen und diskutiert kritische Perspektiven sowie praktikable Handlungsmöglichkeiten zur Entlastung und Förderung.


1. Leistungsorientierung im Sekundarschulsystem: Erwartungen und Realitäten

1.1 Der Stellenwert von Leistung in der Schule

Das deutsche Schulsystem ist traditionell durch eine starke Leistungsorientierung geprägt. Noten, Prüfungen und der Übergang in weiterführende Schulen sind zentrale Steuerungsgrößen für Bildungsbiografien (Prenzel et al., 2019). Diese Orientierung hat das Ziel, objektive Leistungsfeststellungen zu gewährleisten, erzeugt jedoch auch erheblichen Druck bei Schüler*innen (Kutscher & Petermann, 2017).

1.2 Gesellschaftliche und institutionelle Erwartungen

Neben schulischen Anforderungen wirken gesellschaftliche Erwartungen, Eltern- und Peer-Druck sowie eigene Ansprüche als Verstärker des Leistungsdrucks (Rauer & Schuck, 2020). Der zunehmende Wettbewerbscharakter und die Forderung nach optimalen Abschlüssen verstärken die Stressbelastung (Statistisches Bundesamt, 2022).


2. Psychosoziale Belastungen und Folgen für die mentale Gesundheit

2.1 Stress, Angst und Burnout-Symptome

Studien zeigen, dass rund 30–40 % der Jugendlichen im Sekundarbereich signifikanten Stress erleben, der mit Prüfungsangst, Schlafstörungen und psychosomatischen Beschwerden einhergeht (Hoffmann & Petermann, 2020). Die WHO warnt vor der steigenden Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen, die eng mit schulischem Druck korrelieren (WHO, 2021).

2.2 Auswirkungen auf die Lernmotivation und schulische Leistung

Langfristiger Stress wirkt sich negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit und das Lernverhalten aus (Lupien et al., 2009). Die paradoxe Situation entsteht, dass Leistungsdruck oft kontraproduktiv wirkt und das schulische Scheitern fördert (Eccles & Roeser, 2011).

2.3 Soziale Isolation und emotionale Belastungen

Leistungsdruck kann zu sozialem Rückzug, Depressionen und einem verminderten Selbstwertgefühl führen (Schäfer & Thomas, 2019). Besonders vulnerable Gruppen, wie Schüler*innen mit Migrationshintergrund oder sozial benachteiligte Jugendliche, sind stärker betroffen (OECD, 2018).


3. Kritische Perspektiven und Reformansätze

3.1 Kritik an der Leistungsorientierung

Kritiker bemängeln, dass das starre Notensystem und selektive Schulformen individuelle Potentiale vernachlässigen und sozialen Ungleichheiten Vorschub leisten (Bourdieu & Passeron, 2014). Forderungen nach mehr ganzheitlichen und ressourcenorientierten Bildungsansätzen gewinnen an Bedeutung (Baumert & Kunter, 2013).

3.2 Ansätze zur Stressreduktion und Förderung der mentalen Gesundheit

Moderne schulische Konzepte setzen vermehrt auf Achtsamkeitstraining, Resilienzförderung und sozial-emotionale Lernprogramme (SEL) (Weare & Nind, 2011). Diese Programme zielen darauf ab, Selbstregulation, Stressbewältigung und soziale Kompetenzen zu stärken.


4. Praktische Übungen und Handlungsempfehlungen für den Schulalltag

4.1 Achtsamkeit und Entspannungsübungen

Regelmäßige kurze Achtsamkeitsübungen (z. B. Atemmeditation, Body-Scan) können helfen, Stress zu reduzieren und die Konzentration zu fördern (Kabat-Zinn, 2013).

4.2 Zeitmanagement und Lernstrategien

Schüler*innen sollten im Umgang mit Zeitdruck und Prüfungsstress durch gezielte Trainings unterstützt werden. Dazu gehören z. B. das Setzen realistischer Ziele und Pausenplanung (Schunk & Greene, 2018).

4.3 Förderung eines unterstützenden Schulklimas

Lehrkräfte können durch wertschätzende Kommunikation, konstruktives Feedback und das Fördern von Peer-Unterstützung das soziale Klima verbessern und psychische Belastungen mindern (Wentzel & Wigfield, 2009).

4.4 Zusammenarbeit mit Eltern und Fachkräften

Der Einbezug von Eltern sowie Beratungslehrkräften oder Schulpsycholog*innen ist entscheidend, um frühzeitig Belastungen zu erkennen und zu intervenieren (Koller & Bertling, 2015).


Fazit

Die zunehmende Leistungsorientierung in weiterführenden Schulen erzeugt bei vielen Jugendlichen erhebliche psychosoziale Belastungen mit Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit und Bildungserfolge. Es bedarf eines systematischen Umdenkens, das schulische Leistung nicht isoliert betrachtet, sondern ganzheitlich das Wohlbefinden der Schüler*innen in den Mittelpunkt stellt. Schulische Interventionen, die Stressbewältigung fördern, soziale Unterstützung stärken und individuelle Bedürfnisse berücksichtigen, sind essenziell, um Schule als lernförderlichen und gesundheitsfördernden Ort zu gestalten.


Literatur

  • Baumert, J., & Kunter, M. (2013). Pädagogische Psychologie. Springer.
  • Bourdieu, P., & Passeron, J.-C. (2014). Die Illusion der Chancengleichheit. Suhrkamp.
  • Bühlmann, S., & Schroeder, R. (2021). Psychosoziale Belastungen und schulischer Stress. Zeitschrift für Schulpsychologie, 36(2), 75-92.
  • Eccles, J. S., & Roeser, R. W. (2011). Schools as Developmental Contexts during Adolescence. Journal of Research on Adolescence, 21(1), 225–241.
  • Hoffmann, A., & Petermann, F. (2020). Psychische Gesundheit bei Jugendlichen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 69(5), 423–437.
  • Kabat-Zinn, J. (2013). Im Alltag Ruhe finden: Achtsamkeitstraining. Arbor.
  • Koller, M., & Bertling, J. (2015). Schulpsychologische Unterstützung und Prävention. Zeitschrift für Schulpsychologie, 30(3), 142-158.
  • Kutscher, S., & Petermann, F. (2017). Leistungsdruck und Angst bei Jugendlichen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 64(4), 263-278.
  • Lupien, S. J., McEwen, B. S., Gunnar, M. R., & Heim, C. (2009). Effects of stress throughout the lifespan on the brain, behaviour and cognition. Nature Reviews Neuroscience, 10(6), 434–445.
  • OECD (2018). Equity in Education: Breaking Down Barriers to Social Mobility. OECD Publishing.
  • Prenzel, M., Hartig, J., Klieme, E., & Stanat, P. (2019). Bildung in Deutschland 2018. Waxmann.
  • Rauer, V., & Schuck, K. D. (2020). Leistungsdruck unter Jugendlichen: Ursachen und Folgen. Empirische Sonderpädagogik, 16(3), 253-269.
  • Schäfer, S., & Thomas, L. (2019). Psychische Belastungen im Jugendalter. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 51(3), 119-130.
  • Schunk, D. H., & Greene, J. A. (2018). Handbook of Self-Regulation of Learning and Performance. Routledge.
  • Statistisches Bundesamt (2022). Jugend und Bildung: Daten und Fakten. Wiesbaden.
  • Weare, K., & Nind, M. (2011). Mental health promotion and problem prevention in schools: what does the evidence say? Health Promotion International, 26(suppl_1), i29-i69.
  • Wentzel, K. R., & Wigfield, A. (2009). Handbook of Motivation at School. Routledge.
  • WHO (2021). Adolescent mental health. World Health Organization.